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Die Wolkenkratzer des Mittelalters

Schon von Weitem sieht man die beiden „alten Damen“. Torre della Garisenda und Torre degli Asinelli sind zwei mittelalterliche Wohn- und Wehrtürme. Sie sind auch die himmelstürmenden Wahrzeichen der Stadt. Der Garisenda-Turm ist der ältere von beiden. Wann genau er fertiggestellt wurde, weiß heute keiner so genau. Einer Überlieferung zufolge soll er 1109 vollendet gewesen sein. Der Torre degli Asinelli wurde zehn Jahre später fertiggestellt. Den Torre Garisenda überragte er um fast 50 Meter. Weder Feuer noch Kanonenbeschuss konnten dem 97 Meter hohen Torre degli Asinelli etwas anhaben. Auch die leichte Neigung gen Westen hat die Stabilität des Turms nicht beeinträchtigt.

Blick auf den Torre della Garisenda in Bologna. Quelle: Massimo SALIERI

Ich möchte den Wolkenkratzer des Mittelalters unbedingt besichtigen. Die Warteschlange ist noch kurz. Den jungen Mann am Einlass frage ich nach der Stufenzahl. „Sono 498 gradini, signora“, sagt er höflich. Ich lächle tapfer zurück. Anfangs versuche ich noch mitzuzählen. Doch bald gebe ich auf. Die schmalen Holzstiegen fordern Konzentration und langen Atem. Die Mühe lohnt sich. In fast 100 Metern Höhe erwartet mich ein 360-Grad-Stadtpanorama von Bologna. Der Blick auf die kleine Spielzeugwelt unter mir ist schwindelerregend. Die 498 Stufen steige ich barfuß hinab. Das ist bequemer als mit meinen hohen Sandaletten. 

Kunst in der fünftgrößten Kirche der Welt

Das zweite Ziel meiner Aussichtspunkte-Tour ist die Basilika di San Petronio an der Piazza Maggiore. Jahrhundertelang wurde an der riesigen Kathedrale gebaut. Vollendet wurde das Bauwerk jedoch nie. Irgendwann stellte man die Ausgestaltung der Fassaden ein. Die Kasse war klamm. Das Gotteshaus ist die fünftgrößte Kirche der Welt. Innen wartet jede Menge Kunst. In der vierten Kapelle auf der linken Seite zieht ein riesiges Fresko die Blicke auf sich: Szenen aus Dantes Göttlicher Komödie. Paradies und Hölle. Ein riesiger Luzifer, der für entsetzliche Qualen sorgt. Der Künstler hat Mohamed, den Begründer des Islam, bildlich in die Hölle verbannt. Heute ist das politisch alles andere als korrekt. Doch Toleranz war bekanntlich lange Zeit keine Stärke des Christentums. Und sakrale Gemälde dienten dem Zweck, Kirchgänger auf den „richtigen“ Glauben einzuschwören.  

Blick auf die Basilika di San Petronio. Quelle: John O'Neill

Stadtpanorama und rote Ziegeldächer

Eine weitere Top-Sehenswürdigkeit der Stadt verbirgt sich im Fußboden des Kirchenschiffs: der Meridian von Bologna. Er wurde 1655 nach Berechnungen des Astronomen Giovanni Domenico Cassini durch einen Messingstreifen kenntlich gemacht. Das Sonnenlicht berührt täglich einen anderen Punkt auf dieser Mittagslinie. Das machte präzise kalendarische Berechnungen möglich. Auf der Rückseite der Kirche können Besucher per Lastenaufzug zu einer temporären Aussichtsterrasse auf dem Baugerüst des Doms fahren. Der Spaß kostet drei Euro. Das Geld soll der aktuellen Restaurierung zugutekommen. Bevor ich zum Aussichtspunkt hochfahren darf, muss ich seitenlange Sicherheitsbelehrungen lesen und unterschreiben. Das nervt ein bisschen. Belohnt werde ich aber mit guten Aussichten: Ich genieße den herrlichen Blick über die roten Dächer Bolognas. 

Erlebe Bologna von oben.

Herzhaftes Mittagessen

Mittagspause! Ich entscheide ich mich für die Trattoria Leonida. Ich sitze draußen und kann mich nicht entschieden: lieber Pasta oder Risotto? Ich entscheide mich für Pasta und werde nicht enttäuscht. Danach statte ich der Chiesa di Santo Stefano an der gleichnamigen Piazza einen Besuch ab. Der verschachtelte romanische Kirchenkomplex ist etwas ganz Besonderes. 

Der Kirche aufs Dach steigen? Hier geht das!

Ein kurzer Fußweg führt mich zurück zum berühmten Torre degli Asinelli. Hier steige ich in den Bus Nummer 14 und fahre bis Sant`Isaia. Die Linie 20 bringt mich zur Station Funivia. Von hier aus spaziere ich zu einem beliebten Aussichtspunkt und Wahrzeichen der Stadt – zum Santuario della Madonna di San Luca. Ein vier Kilometer langer Arkadengang führt hinauf zu der barocken Wallfahrtskirche. Früher schleppten sich vor allem Pilger über die 489 Stufen zum Ziel. Immerhin waren sie unter dem Bogengang vor praller Sonne und Regen geschützt. Heute ist der Weg für viele Einheimische ein beliebter Fitness-Parcours. Mit kurzen Hosen und Schrittzähler hecheln Bolognesi aller Altersklassen bergauf. Ich lasse mir mehr Zeit. Ich genieße die Licht- und Schattenspiele, die die Nachmittagssonne in den Bogengang zaubert. Eine Dreiviertelstunde später erreiche ich den Aussichtspunkt. Mein Blick schweift weit über die grünen Hügel des Apennin. Noch schöner wird das Panorama, wenn man der Kirche aufs Dach, oder besser: auf die Kuppel steigt. Bei gutem Wetter ist das Panorama magisch. Vögel zwitschern. Zikaden zirpen. Hoch über Bologna wirkt die Welt friedlich. 

Aussicht auf Bologna mit den charakteristischen roten Ziegeldächern. Quelle: Jan Cattaneo

Panorama-Rundfahrt mit der Bimmelbahn

Gern würde ich bis zum Sonnenuntergang auf meinem herrlichen Aussichtspunkt bleiben. Aber meine Beine sind müde. Also steige ich in die für heute letzte Bimmelbahn. Sie verbindet das beliebte Ausflugsziel und die Piazza Maggiore im Herzen Bolognas. Ein Tipp: Die Fahrt in der Bimmelbahn ist kostenlos für Inhaber der Bologna Welcome Card. An der Strecke liegen viele Sehenswürdigkeiten. Wir zuckeln an der Basilika di San Francesco mit ihren merkwürdigen Mausoleen für die großen Bologneser Gelehrten des Mittelalters vorbei. Gegen 19 Uhr endet meine Panorama-Rundfahrt. Die Bimmelbahn trudelt auf der Piazza Maggiore ein. Perfektes Timing. Mit einem Aperitivo läute ich den Abend ein. Bei dem typisch italienischen Happy Hour-Vergnügen bestellt man ein Gläschen und bekommt leckere Kleinigkeiten dazu. Ich suche mir dafür das historische Caffè Zanarini aus. Bei einem Glas Prosecco beobachte ich das Feierabendgewusel im quirligen Herzen der Stadt. 

Mein Fazit: Viele Stufen, viele Schritte und viel Aussicht. Ein Tag zu den schönsten Aussichtspunkten der Stadt ist ein Höhepunkt jedes Bologna-Besuchs.

Susanne Kilimann

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