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Tag 1: Ruhe vor dem Sturm 

9 Uhr: Frühstück in der Pasticceria Nannini

Die Pasticceria Nannini ist Konditorei und Eisdiele in einem. Sie gehört der Familie von Rockstar Gianna Nannini. Inzwischen leitet ihr Bruder, der ehemalige Autorennfahrer Alessandro Nannini, das Unternehmen. Ich nehme in der Bar Conca d’Oro in der Via Banchi di Sopra auf einem der hellen Stühle zwischen den dunklen Holzregalen Platz. Der Tag beginnt mit einem aromatischen Kaffee von Nannini und mit ein paar typisch toskanischen Cantucci mit Schokolade oder Mandel.

In einem Schaufenster liegen viele kleine Cantuccis. Quelle: Martina Rigoli / EyeEm Mobile GmbH, Martina Rigoli / EyeEm Mobile Gm

11 Uhr: Zu Besuch bei Santa Maria Assunta

Von der Pasticceria aus sind es gerade einmal fünf Minuten Fußweg bis zur ersten Sehenswürdigkeit, dem „Dom von Siena“. Bei dem kleinen Spaziergang begegnen mir Sieneser mit auffälliger Kleidung. Schon im Vorfeld des Palio bekennen die Einheimischen wortwörtlich Farbe. Sie tragen Tücher, Krawatten oder Kleider mit den Farben ihres jeweiligen Stadtviertels. Siena besteht aus 17 dieser Contraden. Ich selbst bleibe ganz neutral. Das Sonnenlicht lässt den weißen und dunkelgrünen Marmor der Fassade der imposanten Kathedrale Santa Maria Assunta erstrahlen. Innen versetzt mich der Fußboden ins Staunen: Auf Marmor-Paneelen sind biblische Motive in Szene gesetzt. Allerdings bleiben sie zum Schutz oft zugedeckt und werden nur einige Monate im Jahr freigelegt. Die wunderschönen Fresken der Scuola Senese kann man dafür jederzeit bewundern. In der Krypta bedecken die farbintensiven Bilder auch Säulen und Pfeiler.

Ich werfe auch einen Blick auf die Fresken des Baptisterium San Giovanni. Berühmt ist es aber vor allem für sein Taufbecken mit sechs Bronzerelieftafeln, auf denen die Geschichte Johannes des Täufers nachgestellt ist. Vor dem Mittagessen schaue ich noch schnell in der Piccolomini-Bibliothek vorbei und durch den Facciatone hinaus auf die Stadt. Der Facciatone ist die große Fassade, die die neue Kathedrale Sienas zieren sollte, aber wegen des Ausbruchs der Pest im 14. Jahrhundert und Unstimmigkeiten mit der Struktur wurde das Bauvorhaben nie vollendet. 

13 Uhr: Leichtes Mittagessen in der Gastronomia Morbidi

Ich laufe zurück zur Via Banchi di Sopra, diesmal aber in die Gastronomia Morbidi. Die dunkle Steinfassade des Feinkostladens und Restaurants wirkt zunächst recht unscheinbar. Durch die großen Fenster sehe ich aber einige Menschen vor der Kasse. Es sind vor allem Einheimische, was für mich ein sicheres Indiz dafür ist, dass sich der Gang hinein lohnt. Ich hole mein Ticket fürs Mittagsbüffet und steige hinab in den Essbereich. Dort warten Salate, Antipasti, Risotto und das Wasser gibt’s gratis dazu. 

14:30 Uhr: Auf ein Eis zur Gelateria La Mandorla

Ein kleiner Spaziergang nach dem Essen tut gut. Zehn Minuten entfernt lockt die Eisdiele La Mandorla mit ordentlichen Portionen zu fairen Preisen. Die Sorten Schoko, Vanille und Zitrone schmecken köstlich, sodass ich mir eine weitere Kugel bestelle. Die Kalorien verbrenne ich bei der nächsten Station.

15 Uhr: Umwerfende Aussicht vom Torre del Mangia

Mit dem Eis in der Hand schlendere ich in Richtung Piazza del Campo. Am Palazzo Pubblico erhebt sich die nächste Sehenswürdigkeit unglaubliche 87 Meter in den Himmel: der Torre del Mangia. Seine steinerne Krönung seht ihr schon von Weitem. 400 steile, schmale Stufen führen hinauf. Der Aufstieg lohnt sich aber allemal!

16 Uhr: Siena Stadtbummel und erstklassiger Wein

Bis zum Abendessen bleibt genug Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel. Rund um die Via Banchi di Sopra und die Via di Città verteilen sich zahlreiche Läden. Ich schaue in der Casa della Pelle oder in der Falchini Pelletteria nach eleganten Lederwaren. Im Ceramiche Bianco e Nero und im RoscoArt Ceramiche Artistiche Senesi stöbere ich nach kunstvollem Handwerk. Italienische Delikatessen gibt es in der Antica Drogheria Manganelli. Erstklassige Weine in der Enoteca I Terzi und in der Cantina del Brunello

19 Uhr: Aperitivo in der Prètto Prosciutteria

Und jetzt ein Aperitivo. Ich bin schließlich in Italien. Nicht weit vom Torre del Mangia kehre ich in der Prètto Prosciutteria ein und probiere dort einen der offenen Rotweine. Er schmeckt hervorragend. Dazu esse ich das gefüllte Focaccia, das außen knusprig und innen wunderbar weich ist. Während ich schlemme, findet auf der Piazza del Campo der fünfte Probelauf für den Palio statt: „La Prova generale“ – die Generalprobe für eines der härtesten Pferderennen Europas.

Erlebe Siena beim Palio zwischen Verzweiflung und Freudentaumel.

20 Uhr: Abendessen mit den Jockeys vor dem Pferderennen

Zuletzt geht’s in die Via Giovanni Duprè und hinein in die Taverna di San Guiseppe mit traditioneller sienesischer Küche. Mehr Toskana geht kaum. An der gewölbten Decke erkennt man noch den Backsteintunnel aus römischer Zeit. Wo heute erlesene Weine aus der Region lagern, hatten Etrusker vor Hunderten von Jahren ihre Wohnstätten. Ähnlich großartig wie die Weinkarte ist das mit Kräutern marinierte Grillhähnchen. Einheimische feiern in der Taverna wichtige Anlässe. Am Vorabend des Palio versammeln sich viele aber lieber in ihrem jeweiligen Stadtviertel für ein symbolisches Opfermahl, die „cena propiziatrice“. Interessierte Besucher sind willkommen. Auch die Jockeys, die Fatini, speisen dort. Die stammen traditionell nicht aus der jeweiligen Contrada, sondern werden aus dem Umland verpflichtet. Auswahlkriterien sind natürlich ihre Reitkünste. Sie müssen aber auch immun gegen Bestechungsversuche anderer Stadtviertel sein.

Tag 2: Eine Stadt in Ekstase 

9 Uhr: Der Tag beginnt im Torrefazione Fiorella

Die Via di Cittá kenne ich bereits. Das Torrefazione Fiorella aber noch nicht. Dort prangt die Kaffeebohne über dem Eingang. Alles in dem kleinen Stehlokal dreht sich um einen der besten Kaffees der Stadt. Ich bestelle dazu eine Brioche. Dann bin ich startklar für den Tag. Der ist für die Sieneser zu dieser Zeit schon in vollem Gange: Vor acht Uhr hat der Erzbischof von Siena in der Kapelle der Piazza del Campo eine Messe für die Reiter des Palio abgehalten. Nun steht der letzte Probelauf des Rennens auf dem Platz an. „La Provaccia“ zieht bereits zahlreiche Schaulustige an. Auf der Bahn geht es deutlich gesitteter zu als später, wenn die Teilnehmer mit (fast) allen Mitteln auf ihren ungesattelten Pferden um den Sieg streiten. Da wird mit vollem Körpereinsatz gearbeitet und auch mal ein anderes als das eigene Reittier mit der Peitsche traktiert.

10 Uhr: Basilika, Brunnen und Gemälde

Die Basilika di San Domenico ist eine beeindruckende Erscheinung. Nicht nur wegen ihrer Größe, sondern weil sie auf dem Hügel „Colle di Camporeggio“ über dem historischen Zentrum der Stadt thront. Gleich nebenan befindet sich eine weitere Sehenswürdigkeit. Der Fontebranda ist ein Brunnen, über den sich die spitzen Bogen gotischer Arkaden spannen. Vor dem Mittagessen geht es noch in die Pinacoteca Nazionale di Siena. Dort sind wichtige Gemälde aus dem 14., 15. und 16. Jahrhundert ausgestellt.  

13 Uhr: Von Sienas Nachwuchsköchen bekochen lassen

Die Trattoria Fonte Giusta ist an eine Kochschule angeschlossen. Sollten im Lokal Schüler am Werk sein, sind es extrem talentierte. Die Bruschette sind genauso köstlich wie die Pici (kleine, frisch gemachte Nudeln) mit Ragout. So schmeckt Italien!

14:30 Uhr: Eiskunst bei La Vecchia Latteria

Die Spannung vor dem Beginn des Pferderennens steigt. Also schnell noch ein Gelato auf die Hand, um im Getümmel später kühlen Kopf zu bewahren. Ich gehe ein Stück an der Piazza del Campo vorbei bis zu La Vecchia Latteria in der Via S. Pietro. In der Seitengasse genieße ich mein Eis abseits vom Trubel.

15 Uhr: Auf der Piazza del Campo

Die Piazza del Campo erkenne ich kaum wieder. Für den zweimal pro Jahr ausgetragenen Palio wird der äußere Rand unter einer dicken Sandschicht begraben. Sie soll Mensch und Tier schützen. Binnen kürzester Zeit quillt der Innenraum über vor Zuschauern. Auch auf den eigens errichteten Tribünen sowie Fenstern und Balkonen der umliegenden Häuser drängen sich Menschen. In den teilnehmenden Contraden erhalten Pferde und Reiter jetzt noch eine Segnung in der Kirche. Die Tiere werden ihren Jockeys im Vorfeld übrigens per Los zugewiesen. Besitzer können ihre Pferde für einen Probelauf anmelden. Die zehn vielversprechendsten werden dann von den Kapitänen der Contraden gewählt. Allerdings nicht für sich selbst – wer mit welchem Tier antritt, entscheidet das Los.

16:30 Uhr: Corteo storico delle Contrade

Schon der Einzug der einzelnen Stadtviertel ist ein Schauspiel. Jede Contrada rückt mit fliegenden Fahnen, Trommeln und eigenem Heerführer an. Die Teilnehmer tragen historische Gewänder. Zuletzt ziehen weiße Bullen einen Kriegswagen mit dem begehrten Sieger-Banner in die Arena. Die Wurzeln des Rennens reichen bis ins 11. Jahrhundert zurück. Der erste richtige Palio fand dann Mitte des 17. Jahrhunderts statt.

Blick auf die alte Stadtmauer von Siena mit einer Parkanlage im Vordergrund. Quelle: Francesca Cerretani, Francesca Cerretani / EyeEm Mobile GmbH, Francesca Cerretani / EyeEm Mobi

Die bis heute anhaltende Begeisterung der Sieneser für das Pferderennen erklärt sich durch ihre tiefe Verbundenheit zu ihrer jeweiligen Contrada, für viele ist sie wie eine Familie. Gut die Hälfte der Stadtbevölkerung beteiligt sich aktiv an Festen in Siena und an den Vorbereitungen für den Palio. Zu anderen Contraden pflegen sie erbitterte Rivalitäten, aber auch Bündnisse. Die rücken im Kampf um den Sieg beim Rennen manchmal in den Hintergrund. Genauso kann es aber auch vorkommen, dass man sich gegen eine Contrada verbündet, der man den Erfolg am wenigsten gönnt.

19 Uhr: Start des Palio di Siena

Aus Platzgründen sind nur zehn der 17 Stadtviertel beim Rennen vertreten: der Sieger der vorigen Veranstaltung und diejenigen, die nicht dabei waren, sowie zwei zugeloste. Nach dem Startschuss genau hinschauen: Drei Runden und keine eineinhalb Minuten rasen die Pferde über die Bahn und lassen den Sand unter ihren Hufen aufspritzen. Dann ist das italienische Spektakel vorbei. Auch ohne Reiter im Sattel, also „scosso“, kann ein Pferd und damit die Contrada gewinnen. Das Tier erhält dann einen Ehrenplatz beim Siegesmahl. So oder so: Ein Sieg bedeutet einen kollektiven Freudentaumel. Eine Niederlage – oder schlimmer, der Sieg einer verfeindeten Contrada – die pure Verzweiflung.

21 Uhr: Im Ristorante Particolare di Siena

Der Palio ist Tradition in der Toskana. Die moderne Küche des Ristorante Particolare ist der Kontrast dazu. Ich lasse die historische Stadtmauer hinter mir und schaue dem Küchenteam zu, wie es die Gerichte zubereitet. Der Küchenchef kommt öfter mal an meinen Tisch, um die verschiedenen Gänge zu erklären.

23:30 Uhr: Absacker im Trefilari

Ein letzter Absacker kann nicht schaden. Im Trefilari lasse ich den Tag bei einem exquisiten Rotwein ausklingen. Nur einen Steinwurf von der Piazza del Campo entfernt, auf der das Pferderennen die Stadt nur ein paar Stunden zuvor in Ekstase versetzt hat.

Bernhard Krieger

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