Zeitreise auf Schienen: Unterwegs auf Lissabons schönster Straßenbahnroute
Verkehrsmittel mit nostalgischem Charme
Für mich sind sie die sympathischsten Dickbäuche der Stadt und auch ihr werdet sie lieben – die kultigen Straßenbahnen sind aus dem Stadtbild von Lissabon nicht wegzudenken. Sie kombinieren seit vielen Jahrzehnten Nostalgie und Nutzwert, sind für die Locals lieb gewonnene Tradition und Alltag zugleich. Für Besucher gibt’s kaum eine bessere und preiswertere Sightseeing-Tour durch Portugals Hauptstadt. Das gilt auch für Familien mit Kindern, die sich auf eine kleine Zeitreise begeben und die Sehenswürdigkeiten der Stadt bequem von der Bahn aus entdecken können. Denn Lissabon ist ja eine Stadt der Hügel, deren Aufs und Abs Energie und Schweißtropfen kosten. Mit der Tram spart ihr euch eine Menge Lauferei und vielleicht die ein oder andere Quengelattacke des lauffaulen Nachwuchses.
Apropos sparen, gleich ein Tipp: Besorgt euch vorher unbedingt die Lisboa Card. Mit ihr sind unbegrenzte Tramfahrten und vieles mehr inklusive. Die Karte gibt es für Erwachsene und für Kinder. Fahrpläne sowie weitere Infos zu den Straßenbahnlinien findet ihr unter www.carris.pt.
Der Sound der Tram
Startklar? Dann nehmt euch direkt die schönste Strecke vor: Die Linie 28 fährt auf ihrem Weg von der City zur Endhaltestelle Campo Ourique an zahlreichen Sehenswürdigkeiten vorbei. Nach ihrem Start am Castelo de São Jorge macht die Straßenbahn an knapp 20 Stationen halt und durchquert etwa die Stadtviertel Bairro Alto und Alfama. Zu Beginn müsst ihr vielleicht an der Haltestelle in der Rua Conceição einen Moment warten. Denn die portugiesischen Dickbäuche sind beliebt. Im Schnitt fahren sie im Zehn-Minuten-Takt ein und haben begrenzte Kapazitäten für Passagiere. „20 sitzend, 38 stehend“, lest ihr drinnen auf einer kleinen Tafel. Mit einem Ruck geht es dann los. Beim Start stößt die Bahn ein paar Schnaufer aus – das ist Teil des Soundtracks, der euch ab jetzt begleitet. Das metallische Rattern, das Holpern und das Quietschen der Bremsen gehören ebenso dazu wie das schrille Glockengebimmel. Damit verscheucht der Fahrer Tauben und parkende Lieferwagen oder warnt Fußgänger auf den Gehsteigen.
Bestes Bordkino
Wenn ihr Sitzplätze ergattert habt, drückt euch bereits der erste Anstieg in Richtung Chiado-Viertel in die Kunstlederbänkchen. Zur wärmeren Jahreszeit stehen die Schiebefenster offen und der Fahrtwind spendet euch einen angenehmen Luftzug. Aber Vorsicht: Hinauslehnen verboten! Davor warnt auch ein Schild. Denn die engen Gassen, durch die sich die Straßenbahn kämpft, sind teilweise wirklich sehr schmal.
Dadurch wird die Fahrt aber auch umso schöner, denn ihr bekommt bestes Bordkino geboten. Zwischen bunten Hausfassaden, Kirchen und kleinen Geschäften schaut ihr mal auf Wursthaken in einer Metzgerei, mal auf Balkonvorsprünge mit Blumenkästen oder trocknender Wäsche. Der Charme des alten Lissabon bleibt durch massive Holztüren, schmiedeeiserne Gitter, golden glänzende Türknäufe und Schmuckkacheln lebendig. Achtet auch auf Details in dem voranruckelnden Wagen selbst. Das Innere ist kunstvoll mit Holz verkleidet. Die Halteriemen baumeln vom Deckengestänge. Oberhalb der Fenster drückt man die Haltewunschknöpfe, vorne sitzt der Fahrer auf einem Hochstuhl an seiner Kurbel. Bei Ampelstopps gibt das Gefährt komplett Ruhe, um sich dann aufs Neue schwerfällig in Gang zu setzen. Dabei ist die Tram moderner, als ihr vielleicht denkt. Der Entwertungsautomat steht auf der digitalen Höhe der Zeit. Und es gibt sogar WLAN.
„Das ganze Leben gelebt“
Unterwegs wehen Stimmenfetzen hinein, auch wird die Tram selbst zum Fotoobjekt. Die Menschenfracht kommt und geht, manchmal wird es eng. Pompöse Noten auf der Sightseeing-Tour mit der Straßenbahn 28 setzen der Parlamentsbau und die Basílica da Estrela. Hinter dieser „Stern-Basilika“ verbreitern sich die Straßen und bleiben so bis zur Endstation Campo Ourique. Dort heißt es in einem Kreisverkehr: alle aussteigen. Die Fahrer legen ein Päuschen ein – und genau das solltet auch ihr tun. Zum Beispiel direkt an der Station im großen Erfrischungskiosk „Red“ (Praça São João Bosco) mit seiner schattigen Terrasse, die bestens für Familien geeignet ist. Alternativ gibt's beim Eismann nebenan eine leckere Abkühlung.
Die Route zurück verläuft ein wenig anders, das Feeling bleibt gleich – zumindest geht es mir immer so. In der Straßenbahn fühle ich mich wie in einer rollenden Blase: ganz nah dran am Trubel der Großstadt und gleichzeitig angenehm fern. Und am Ende der Zeitreise kommt mir ein Zitat von Lissabons berühmtem Dichter Fernando Pessoa in den Sinn: „Ich steige erschöpft und wie ein Schlafwandler aus der Straßenbahn. Ich habe das ganze Leben gelebt.“ Genauso ist es.
Mein Fazit: Eine Fahrt mit der Straßenbahnlinie 28 ist ein Erlebnis für die ganze Familie und vermittelt einen ersten Eindruck von Lissabon.