'Daumen hoch': Taste für positives Feedback
5 Min. estimated reading time.

Fondazione Prada feiert den Industriecharme in der Stadt

Wir starten unsere Tour im industriellen Südosten Mailands. Unsere gemeinsame Schwäche für italienische Dolce Vita, Kunst und Kultur hat uns für ein Wochenende hergeführt. Das erste Ziel ist eine ehemalige Schnapsbrennerei aus dem Jahr 1916, in der die Fondazione Prada heute ihr Zuhause hat. Das kleine Dorf, in dem einst purer Alkohol floss, ist heute eine unter der Avantgarde bekannte Institution für zeitgenössische Kunst und Kultur. Im Zusammenspiel der zehn alten und neuen Gebäude hat es Stararchitekt Rem Koolhaas geschafft, den spröden Fabrikcharme zu erhalten und mit neuem Glanz zu versehen. Symbolisch dafür steht das mit Blattgold überzogene, vierstöckige Hauptgebäude, das im Sonnenlicht fast zu leuchten scheint. Wir schlängeln uns unseren Weg durch die kleinen Straßen hindurch, über die Piazza und verschwinden hinter den eleganten Fassaden aus Beton, Glas und Gold. Aus den vielen Kunst-Ausstellungen bleiben uns besonders zwei Installationen im Kopf: Die überdimensionalen, sich drehenden Fliegenpilze von Carsten Höller, die aus der Decke zu wachsen scheinen. Und die menschengroßen Tulpen aus buntem Chrom von Künstler Jeff Koons. Neben ihnen fühlen wir uns wie bei Alice im Wunderland. Wer es danach nicht mehr selbst zurück auf den Boden der Realität schafft, nimmt einfach den diagonal an der Hauswand fahrenden Aufzug. 

Cocktails mit Regisseur Wes Anderson

Nach zwei Stunden gefüllt mit schriller, klassischer und abstrakter Kunst schlendern wir für einen Caffè und Vanilleeis in die Bar Luce. Unsere Beine haben sich eine kleine Pause verdient. Unsere Sinne eigentlich auch, doch das Interieur ist ein Kunstwerk für sich. Mein Lieblings-Regisseur Wes Anderson, der für Filme wie „Die Tiefseetaucher“ oder das opulente „Grand Hotel Budapest“ bekannt ist, hat sich hier gestalterisch ausgetobt. So besteht das Interieur aus Retro-Designmöbeln und detailverliebter Deko. Während wir am Kaffee nippen, wandern unsere Blicke fasziniert von den bunten, würfelförmigen Sesseln über die Bonbongläsern hinter der Bar zu den Flipperautomaten an der holzvertäfelten Wand. Die Kino-Leinwand für den Wes-Anderson-Film sind hier unsere Köpfe.

Drei Spirituosenflaschen und ein roter Cocktail stehen auf einem Holztisch. Quelle: Aleksandrs Tihonovs
Schlendere und staune in den wiederbelebten Industriehallen Mailands.

Fashion und moderne Kunst

Eine weitere Variante unseres Themas „Industrie vor dem Verfall bewahrt“ erwartet uns 15 Autominuten weiter westlich. Auf dem Gelände der früheren Stahlfabrik Ansaldo in der Via Tortona ist inzwischen die Kreativszene eingezogen. In den kargen, historischen Werkshallen finden während der Fashion-Week Modenschauen statt. Mit dem Museum der Kulturen MUDEC kam ein ganz neues Haus hinzu, das, ja, wieder ein Stararchitekt entworfen hat: David Chipperfield. Von außen wirkt das Gebäude auf uns unspektakulär. Umso überraschter sind wir im Innenraum. Wir schreiten die brachiale Treppe herauf, die mit ihren Blechelementen und pinkfarbenem Licht noch an Industriezeiten erinnert. Die organischen Glaswände im Foyer dagegen wirken hell und modern. Für Architektur-Fans wie uns ein echtes Highlight: Auch hier trifft raue Vergangenheit auf Futurismus – und das alles, bevor wir den ersten Ausstellungsraum betreten haben. Im Inneren erwarten uns fünf ethnografische Sammlungen aus verschiedenen Kulturen der Welt – in Form von Malerei, Kleidung, Skulpturen, Masken oder interaktiven Video-Installationen. Doch wir wollen unsere Sinne nicht überfordern und belassen es bei einem beschaulichen Rundgang.

Tipp

Unbedingt die Sammlung mit japanischen Masken aus Stahl und Pappmaché besuchen – und nicht ohne ein inszeniertes Porträtfoto wieder verlassen!

Eine Nahaufnahme einer japanischen Maske aus Stahl und Pappmaché. Quelle: Jorge Tadao Sato

Junge Teufel in alten Hallen

Einen Großteil des gleichen ehemaligen Fabrikgeländes nutzt die Mailänder Scala, das weltberühmte Opernhaus. Mit Anmeldung ist dienstags und donnerstags ein Blick hinter die Kulissen, also in die Werkstätten, Kostümfundus und Lager möglich. Bei unserem Besuch wird auf dem Boden gerade eine riesige Leinwand mit einer bunten Landschaft bemalt, die später die Rückwand der Bühne sein soll. Um die Ecke sitzt hinter einer hölzernen Werkbank ein junger Mann auf seinem Schemel und modelliert hochkonzentriert mit Latex die Nase einer Teufelsmaske, die mit der nächsten Inszenierung im Teatro alla Scala in der Mailänder Innenstadt zum Leben erwachen wird. 

Gin Tonic an einer ehemaligen Zapfsäule tanken

Gegen Abend stellt sich dann doch die Lust auf einen Drink ein. Wir wollen den Geheimtipp eines Mailänder Freundes ausprobieren und bei einer umfunktionierten Tankstelle an der Viale Certosa im Norden Mailands vorbeischauen. Fiat-Erbe und Skandal-Dandy Lapo Elkann hat sich hier einen Traum erfüllt und aus einer leer stehenden Tankstelle aus den Fünfzigerjahren das angesagte Restaurant Garage Italia Milano gemacht. In der Mitte des trapezförmigen Innenraumes dient die Karosserie eines Ferrari 250 GTO als Cocktailbar. Der Kellner in stilechter Rennfahrer-Jacke tanzt gekonnt zwischen den Spirituosen hin und her und serviert uns unsere Bellinis. Und an der Decke schlängelt sich eine 35 Meter lange Autorennbahn mit einer aus Holz gefertigten Fahrbahn, auf der 22 Miniatur-Formel-1-Wagen ihre Runden drehen. Diese Tankstelle, sind wir uns einig, wurde mehr als überzeugend vor dem Leerstand bewahrt.

Unser Fazit? Der vielfältige Kontrast zwischen Rauheit und Finesse in Kombination mit italienischen Leckereien zwischendurch: Was wünschen sich zwei befreundete Kunstliebhaberinnen bei der Städtereise in Mailand mehr?

andere stories

Vorherige Artikel anzeigen
Nächste Artikel anzeigen