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Unterwegs mit einem Muschelsucher

Ein wenig wirkt der Mann, als sei er auf der Flucht. Nach jedem zweiten Satz dreht er sich suchend um. Nicht weil er auf jemanden wartet, sondern aus Angst, jemand könnte ihm seine Ausbeute streitig machen. Denn er weiß, sobald sich das Wasser aus dem Parque Natural da Ria Formosa zurückzieht, kommen sie von überall her. Die Konkurrenz schläft nicht. Alle wollen etwas von dem Kuchen abhaben, den die Natur hier im Wechsel der Gezeiten kostenfrei vorhält. Sie alle haben eine mehr oder weniger identische Ausrüstung.  Mit Harken und Rechen, Schaufeln und Mistgabeln, Eimern und Säcken stiefeln sie durch das Watt. „Nein, wir suchen nicht nach Gold“, lacht er. Das Objekt der Begierde seien vor allem Muscheln. Und die seien mitunter so schwer zu finden wie Gold. Eigentlich verdient er seine Brötchen als Bauarbeiter. Das nicht gerade üppige Gehalt bessert er seit anderthalb Jahrzehnten als Muschelsucher auf. Er drückt mir eine Mistgabel in die Hand. 

Buddeln nach den besten Muscheln

Es kann nicht so schwer sein, ein paar Muscheln ans Tageslicht zu befördern, denke ich. Doch weit gefehlt. Allein die Mistgabel in den Schlick zu rammen und anzuheben ist ein echter Kraftakt. Minutenlang versuche ich mein Bestes. Aber, wie soll ich sagen, ein knappes Dutzend Muscheln ist die niedrige Ausbeute der schweißtreibenden Arbeit. In seinem Bemühen hat der Muschelsucher neben mir den Blick für die atemberaubende Schönheit des Parque Natural da Ria Formosa verloren. Ihn interessieren in erster Linie Ebbe und Flut und die Zeit, die ihm zum Buddeln bleibt. Je länger ich durch die Landschaft stapfe, umso mehr sehe ich sie: die gebückten Gestalten, die fieberhaft nach Muscheln suchen. Und wenn die Flut sie dann für gut acht Stunden aus dem Park vertreibt, beginnt die „Schicht“ der Fischer. Schließlich gibt es in den Gewässern der Lagunen-Landschaft mehr als vier Dutzend Fischarten – ein Schlaraffenland für Angler und Fischer. 

Gezeiten gestalten die Landschaft der Algarve 

Ich hingegen genieße den Gang über den Schlick. Die Tide ist in vollem Gange. Fast im Minutentakt verändert sich die riesige Uferzone. Wo vor wenigen Augenblicken noch das Wasser die Vorherrschaft hatte, tauchen aus dem Sand nun grüne Queller auf. Das sind Pflanzen, die in salzhaltigen Feuchtgebieten zu Hause sind. Je mehr sich das Wasser zurückzieht, desto mehr wird das Ökosystem zur Speisekammer für Tausende von Vögeln – und zu einem Lieblingsort für Ornithologen. In den Wintermonaten halten sich um die 25.000 Watt- und Wasservögel hier auf. Das Naturreservat ist eine der größten Lagunen-Landschaften in Europa. In dem 170 Quadratkilometer großen Labyrinth aus Wasserkanälen, Inseln, Sümpfen und Sandbänken tummeln sich neben den scheuen Purpurhühnern auch Kormorane, Störche, Graugänse und Flamingos. Ganz zu schweigen von den vielen Vogel-Familien, die Ornithologen beobachten können. Die Ria Formosa ist absolut verdient eines der sieben Naturwunder Portugals. 

Zwei Störche stehen auf einem sonnigen Felsen vor dem Meet. Quelle: Frank McClintock / EyeEm Mobile GmbH, Frank McClintock / EyeEm Mobile

Taucher mit zotteliger Mähne im Park

Ein dichtes Netz an Wanderwegen durchzieht die Landschaft. Immer wieder begegne ich einer ganz anderen Spezies: dem portugiesischen Wasserhund. Der zottelige und überaus lehrreiche Hund kann unglaublich gut tauchen und ist seit vielen Generationen treuer Begleiter vieler Fischer an der Algarve. Wenn Fische oder Fischernetze über Bord gehen, holt er sie zurück. Deutlich schwieriger zu Gesicht zu bekommen ist das hier ebenfalls heimische Chamäleon. Auch ich habe kein Glück. Dafür kann ich mich beim Schnorcheln gleich reihenweise an den kleinen Seepferden erfreuen. Zu Hunderten schwirren sie durch das Wasser. 

Den schönsten Naturpark der Algarve entdecken.

Schwimmen mit Seepferdchen

Angeblich lebt in den Gewässern der Ria Famosa eine der größten Seepferdchen-Populationen weltweit. Das erfahre ich im Besucherzentrum in Quinta de Marim, zu dem auch ein spezieller, knapp drei Kilometer langer Naturlehrpfad gehört. Seine heutige Form verdankt der Ria Famosa einem schweren Erd- und Seebeben aus dem Jahre 1755. Fünf Inseln und zwei Halbinseln schützen die Lagune vor der Urgewalt des Atlantiks: die Halbinsel Ilha de Faro, die Ilha da Barreta, die Ilha da Culatra, die Ilha da Armona, die Ilha de Tavira, die Ilha de Cabanas und die Peninsula de Cacela. 

Hinter einer kleinen Steinmauer liegt ein weiter Strand unter dem Abendhimmel. Quelle: Ricardo Pedro , Ricardo Pedro / EyeEm Mobile GmbH

Meinen Tag in dem Naturschutzgebiet beende ich mit ein paar entspannten Stunden am Strand. Besonders gut geht das auf der Ilha da Barreta, dem südlichsten Punkt Portugals, oder auf der autofreien Ilha da Culatra mit ihren schönen Stränden. Auf Culatra scheint die Zeit still zu stehen. Der Mittelpunkt ist das gleichnamige Dörfchen Culatra mit einer kleinen Kirche, ein paar Fischerhäusern und ein paar Cafés und Restaurants.

Entspannter Ein-Mann-Treck gen Westen

Bevor ich den Sand der Insel unter die Füße nehme, hole ich mir einen Kaffee und ein Limonen-Küchlein in der Waves Beach Bar. Ich mache mich auf den Weg Richtung Küste und bin begeistert von dem schier endlos langen Strand mit seinem feinen Sand. Hier gibt es ihn noch, den Platz für alle Sonnenhungrigen, die ungern Strandlaken an Strandlaken legen. Ein Traum für Familien mit Kindern, denn die Kleinen können hier einfach Kind sein, herumrennen, toben, schreien und planschen. 

Vorbei an Hangares, einer schnuckeligen Siedlung mit Ferienunterkünften, spaziere ich gemütlich nach Farol. Schon von Weitem weist mir der weiße Leuchtturm mit seiner roten Spitze den Weg. 220 Stufen führen eine Wendeltreppe hinauf auf den weißen Riesen. Schweißtreibend, aber es lohnt sich.  Spätestens jetzt wird die ganze Pracht des Parque Natural da Ria Formosa deutlich. Und ich hoffe, das famose Naturreservat an der Algarve bleibt weiter von Menschenmassen verschont. Aber da muss ich mir eigentlich keine Sorgen machen, schließlich sind wir ja hier ganz unter uns, oder?

Faro oder Olhão: Wege in den Naturpark Ria Formosa

Mit dem Boot geht es von Olhão oder von Faro aus in die Ria Formosa. Anbieter für solche Touren sind zum Beispiel Natura Algarve, Sunbonoo oder Formosamar.

Karsten-Thilo Raab

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