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Reise in die Vergangenheit: Edinburghs Untergrund

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, in einem kleinen Geschäft der Altstadt zu stehen und zu wissen, dass es in wenigen Minuten hinabgeht. Tief in den Untergrund von Edinburgh, auf in eine andere Zeit. Die Tour ist zwar eine Show, sie gibt aber auch einen Einblick in die Vergangenheit der Hauptstadt Schottlands. Nur: Wie realistisch ist das alles gestaltet im Mary King’s Close?

Das eiserne Eingangsschild zum Mary King´s Close. Quelle: Alamy / frederic REGLAIN

Die Tour beginnt. Auftritt John, der Pestarzt. Er steigt mit unserer Gruppe hinunter in den nur schwach erleuchteten Gang aus Kopfsteinpflaster. So muss es früher ausgesehen haben in den zahlreichen Gewölben der Stadt. Zwischen den schicken Häusern an den Straßen oben, die immer höher wurden. Ohne Tageslicht, dunkel und mit nur wenig Frischluft.

Als die Pest die Stadt erreichte

Wir gehen eine steile Treppe hinab und sind mitten im Jahr 1645. Eine schlimme Pest-Epidemie wütete damals in der Hauptstadt von Schottland. Tausende Menschen starben, unter ihnen auch der erste Pestarzt, John Paulitious. Flöhe übertrugen die Krankheit. Sie hatten es sich auf dem Rücken der allgegenwärtigen Ratten gemütlich gemacht und weil es innerhalb der Stadtmauern so voll war, hatte die Seuche leichtes Spiel. Zweierlei Arten der Pest wüteten in Edinburgh: die eine brachte den „Schwarzen Tod“, die andere Beulen am ganzen Körper, die das Blut langsam vergifteten.

Erkunde die Gewölbe der schottischen Hauptstadt.

Die Pestkranken mussten in ihren Häusern bleiben und ein weißes Laken an ihr Fenster hängen. So wusste John Paulitious, wo seine Hilfe gefragt war. Für seinen Einsatz zahlte er mit seinem Leben. Er starb vermutlich selbst an der Pest. Im Sommer 1645 wurde ein zweiter Pestarzt geholt: George Rae. Er war deutlich erfolgreicher beim Behandeln der Pestilenz. Aber er sah gruselig aus, erst recht im dunklen Licht des Untergrunds. Rae trug einen langen Umhang und eine Art Vogelmaske, in deren Schnabel er Gewürze und Rosenblätter versteckte. Damit wollte er sich vor Ansteckung schützen. Denn damals dachte man noch, die Pest werde über die Luft übertragen.

Grusel-Geschichten mit Gänsehaut-Garantie

Vielleicht war Raes Outfit aber doch erfolgreich: Er überlebte die Seuche. Auch er arbeitete im Mary King’s Close und kümmerte sich um die vielen armen Menschen, die dort unten in den Gewölben unter miserablen hygienischen Bedingungen lebten. Für diesen gefährlichen Job hatte ihm der Rat der Stadt viel Geld versprochen. Das wollte Rae nach getaner Arbeit kassieren. Doch er bekam nichts. Die Stadtoberen hatten erwartet, dass er der Epidemie selbst zum Opfer fallen würde. Neben dieser gruseligen Geschichte bekommen wir durch die Tour „unter Tage“ auch eine Ahnung davon, wie das Leben unter der Stadt aussah. In den unterirdischen Gewölben existierten Menschen jahrhundertelang unter erbärmlichen Verhältnissen. Für die Reichen in den oberen Stockwerken der Häuser blieben sie vollkommen unsichtbar. Licht, Luft und eine gute Aussicht hatte eben nur, wer es sich leisten konnte.

Historisches Edinburgh hautnah: Unterwegs mit Dichter und Zofen 

Verschiedene historische Figuren führen uns während der Tour durch die Gassen von Mary King’s Close. Wir treffen auf Walter King, der die Wohnung derer ausräumte, die unter der Pest litten. Oder Robert Fergusson, einen bekannten schottischen Dichter des 18. Jahrhunderts. Er gilt als Inspiration für den schottischen Nationalhelden Robert „Rabbie“ Burns, den Autor des Gedichts „Auld Land Syne“. Und dann ist da noch Agnes Chambers, eine Zofe im Haushalt eines reichen Kaufmanns im tiefsten Mittelalter. Sie alle zeigen uns eindrücklich, wie es im Halbdunkel unter der Stadt zuging. 

Blick in eine schmale beleuchtete Gasse in Edinburgh bei Nacht. Quelle: Alamy / Chris Dorney

Es ist eine beeindruckende Tour „unter Tage“. Wir haben viel gelernt über das Leben der Menschen, die damals so hart schufteten und sich doch kaum Hoffnung auf ein gutes Leben machen konnten. Und wir haben einiges gehört über die Freuden, die sie hier unten dennoch hatten – trotz der rauen Bedingungen. Uns wurde klar, wie kleinen Dinge manchmal einen großen Unterschied machen, zum Beispiel die Zuwendung und der Zusammenhalt unter den Bewohnern. Die Tour ist vorbei, über eine schmale Treppe geht es wieder nach oben. Zurück ins Tageslicht, zurück an die frische Luft. Jetzt machen wir uns aber erst einmal auf die Suche nach einem hübschen Café, in dem wir einen guten Afternoon Tea bekommen.

Mein Fazit: Das war keine ganz normale Sightseeing-Tour, aber sicher eine, die uns lange im Gedächtnis bleiben wird. 

Verena Wolff

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