Griechenland abseits der Touristenströme: Geheimtipp Kavala
Gegen den Touristenstrom
Griechenland verzeichnet wieder Touristenrekorde. Auf jeden Griechen kommen zur Hochsaison gern mal drei Touristen. Nicht so in Kavala, schon gar nicht außerhalb der Hauptreisezeit. Tavernen, in denen ich problemlos einen Tisch mit bester Aussicht bekomme; Hotels, in denen auch um elf Uhr noch eine Liege am Pool für mich frei ist; Altstadtgassen, in denen ich höchstens Einheimische und ein paar Katzen treffe. Herrlich!
Festung mit Aussicht
Das Geheimtipp-Dasein mag daran liegen, dass viele über das anderthalb Stunden entfernte und bekanntere Thessaloniki nicht hinauskommen. „Wir haben genug Betten für die doppelte Menge an Fluggästen und auch im Winter gibt es viel zu tun und zu sehen“, beteuert Antonis Mitzalis, Betreiber des Hotels Lucy im Westen der Stadt. Sein modernes Haus mit 149 Zimmern, gebaut auf einer kleinen Landzunge direkt am Meer, bietet reichlich Gelegenheit für versunkene Blicke auf Wellen, Boote und die Küstenlinie. Kalamitsi, der beste Strand Kavalas, ist nur eine Wegesbreite entfernt vom Hoteleingang.
Aber ich möchte die ganze Stadt und ihre 2.700 Jahre alte Kulturgeschichte kennenlernen. Etwa Kavalas Festung, errichtet im Byzantinischen Reich hoch oben auf einem Hügel auf der Halbinsel Panagia. Wer die 55 Stufen der Wendeltreppe des Aussichtsturms hinaufstapft, bekommt einen guten Überblick über das heutige Kavala. Wie pastellfarbene Legosteine sind die Häuser der rund 70.000 Einwohner über die Berghänge verteilt. Sehr auffällig im Stadtbild: das große Aquädukt mit seinen 60 Bögen stammt aus der Römerzeit. Noch heute leitet es Wasser zur Altstadt.
Die Tabak-Blüte
Was mich überrascht: Die eigentliche Blütezeit Kavalas geht auf die Tabakpflanze zurück. Genauer gesagt, den sogenannten türkischen Tabak, der in der Region gedieh. Im 19. Jahrhundert kamen Franzosen, Briten und Ungarn in die Stadt und handelten den begehrten Grundstoff für die Zigarettenherstellung weltweit. Ein gutes Geschäft, das 15,000 von Kavalas damaligen 50,000 Einwohnern Arbeit verschaffte und den einen oder anderen Tabakhändler reich machte. Zumindest bis zur Weltwirtschaftskrise 1929. Von den 160 Tabaklagerhäusern der Stadt gibt es heute noch 50, wie das hübsch verzierte am Kapnergatis-Platz. Viele sind heute Läden, Einkaufszentren oder verfallen.
In Kavala sind die Spuren der Geschichte in Architektur, Sprache, Musik, Kulinarik und Religion spürbar. Das güldene Mosaik vor der Heiligen-Nikolaus-Kirche glitzert im Licht und ist dem Apostel Paulus gewidmet. Im Jahr 49 bekehrte er vor den Toren Kavalas die ersten Europäer zum Christentum. Bis in die 1920er-Jahre war die Kirche dann eine Moschee, der heutige Kirchturm ein Minarett.
Ort der Geschichte
Das wollte ich genauer wissen und habe nachgeschaut. Das sogenannte Imaret wurde 1817 von Muhammad Ali Pascha erbaut, einem Sohn der Stadt und späteren Herrschers Ägyptens. Es war eine Madrasa (Gelehrtenschule), in der zukünftige Anwälte und Imame in Mathematik, Geografie und vor allem Theologie unterrichtet wurden. Dome, Bogengänge, Springbrunnen im Hof: Man fühlt sich an die Märchen aus Tausendundeiner Nacht erinnert. Eine Suppenküche versorgte nicht nur die Schüler, sondern auch Bedürftigen der Stadt, egal welcher religiösen Überzeugung.
Nach Kriegen in der Region konnten griechischen Flüchtlinge im Imaret wohnen und Läden betreiben, doch schließlich wurde es baufällig und stand leer. Inzwischen ist es renoviert. Statt eifrig paukender Schüler bewohnen jetzt Hotelgäste die Zimmer im Erdgeschoss und können im Schatten der Orangenbäume im Innenhof je nach Wunsch westlichen oder östlichen Philosophien nachhängen.
Aber wie überall in Griechenland ist auch in Kavala der schönste Moment des Tages das gemütliche Einkehren in eine Taverne bei Sonnenuntergang. Blauweiß karierte Tischdecken, eine Kaimauer, an der Boote schaukeln, Wein: Savvas Seafood am Westende des Perigiali Strandes ist ein Restaurant, das alles hat, was man für griechische Lebensfreude braucht. War schön, dich kennenzulernen, Kavala. Übrigens, auf Discover Greece kann jeder sein eigenes Kavala-Abenteuer planen. Wer auf Aktivurlaub steht, kann sich hier zu tollen Wanderungen rund um den Berg Pangaio inspirieren lassen.
Der Artikel ist erstmals im WINGS Magazin erschienen.