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Bühnenkunst im Familienurlaub

Im Zuschauerraum des Puppentheaters herrscht fröhlicher Tumult. Gleich beginnt das Stück „Die Möwe und die Katerbande“. Entstanden ist es nach einem Kinderbuch des chilenischen Schriftstellers Luis Sepúlveda. Rund 200 Kinder und Eltern suchen ihre Plätze. Bis die letzten Familien sitzen, sind die zappeligsten jungen Gäste schon wieder aufgestanden. Nur wenige bemerken, dass auf der Puppenbühne schon etwas passiert. Ein Musiker schlägt eine Trommel. Tief aus dem Bauch holt er dazu Luft und pustet sie zu lauten Geräuschen aus seinem Mund. Das Ganze klingt irgendwie nach schwerer Arbeit. Dieser Eindruck wird durch den temporeichen, gleichmäßigen Rhythmus noch unterstrichen. Allmählich wird es ruhiger im Saal. Die Reise in die Traumwelt kann beginnen. „Man kann die Spannung hören“, flüstert meine Freundin und schaut auf ihren Sohn. Der Sechsjährige sitzt neben uns und reckt den Hals, um ja nichts zu verpassen.

Leute sitzen im Zuschauerraum und schauen zur erleuchteten Bühne. Quelle: jovo marjanovic / EyeEm Mobile GmbH, jovo marjanovic / EyeEm Mobile G, jovo marjanovic

Wie aus einem Rohrschlauch eine Katze wird

Auf der Bühne stehen Leitern und Gerüste aus Metall. Die Schiffskräne im Hintergrund verraten: Wir sind am Meer, in einem Hafen. Weil sie kein anderes Zuhause haben, leben viele Katzen hier. Eine davon ist der Kater Zorbas. Seine Figur besteht eigentlich nur aus zwei Gegenständen: dem Kopf und einem Stückchen Rohrschlauch. Doch diese Wahrnehmung dauert nur den Bruchteil eines Augenblicks. Denn schon nach wenigen Bewegungen des Puppenspielers formen beide Teile eine Kreatur. Die längliche, flexible Wackelröhre hat sich verwandelt. Nun ist sie der geschmeidige, schlaksig-dünne Körper eines halbwüchsigen Stubentigers. Das zustimmende Geschrei des jungen Publikums lässt keinen Zweifel offen: Die Katze lebt. Das Puppenspiel ist Zauberei. Die ganze Familie ist begeistert.

Marionetten, Schattenspiel und Schwarzlicht-Märchen

Ich bin immer wieder aufs Neue verblüfft, mit wie viel Fantasie und Leidenschaft in Bulgarien Theater gemacht wird – insbesondere für Kinder. Wie im Fall von Kater Zorbas und seinem selbst ausgebrüteten Möwenkind werden die Figuren meist extra für die Stücke geschaffen. Das trifft ebenfalls auf „Das neugierige Elefantenkind“ zu. Sowohl der Hauptheld als auch seine Weggefährten sind zum Totlachen komisch und zugleich zum Knuddeln süß. Das macht das Puppentheater für jeden Familienurlaub zu einem der besten Ausflugsziele in Sofia, wenn nicht sogar in ganz Bulgarien.

Schaut den Marionetten beim Tanzen zu – beim Puppentheater in Sofia!

So vielfältig wie das Repertoire, so unterschiedlich sind die Techniken und Genres. Bei „Borizmejko – der Drachentöter“ bewegen sich klassische Marionetten an ihren Fäden durch den Bühnenraum. Beim Schattenspiel wird die Welt auf eine Fläche projiziert. Und manchmal erobern auch Musicals wie „Avenue Q“ oder Pantomime-Stücke die Herzen der Zuschauer-Familien. An diese Tradition knüpft das liebenswerte Leuchtspektakel „Der Fischer und der goldene Fisch“ an. Sehr effektvoll werden dabei dünne Drahtfiguren mit Schwarzlicht in Szene gesetzt. Meist agieren Puppen, manchmal stehen aber auch menschliche Darsteller im Vordergrund. Bei „Mowgli“ sind die Puppenspieler als Bäume und Gestrüpp verkleidet.

Marionettentheater in Sofia: Viel Herz, viel Atmosphäre

Für das Katzenpuppenstück verstecken sich die Menschen nicht auf der Bühne. Die Augen meines kleinen Sitznachbars kleben an den Schläuchen. „Sie fliegt, sie fliegt“, ruft er begeistert, als die kleine Möwe endlich weiß, wozu sie ihre Flügel hat. Dass sie aus Stoff und Draht besteht und sich nur mit der Hilfe einer Puppenspielerin sowie zwei Stöcken in die Luft erheben kann, spielt für den Jungen keine Rolle. Wie die meisten Kinder ist er längst von seinem Stuhl gesprungen. In die Hände klatschend feuert er den Vogel an. Seine Mama strahlt – über ihren Sohn und weil sie die Geschichte selber mag. Für sie ist das Theater sowohl Urlaub vom Alltag als auch ein Wallfahrtsort. „Hier finde ich die Träume meiner Kindheit wieder“, schwärmt sie. Ob Einheimische oder Familien im Sofia-Urlaub – die wundervollen Inszenierungen des Puppentheaters locken alle in die gemütlichen Sitze des Theaters.

Zwei bunte Handpuppen aus Stoff spielen auf der Bühne. Quelle: Jonas Nellissen / EyeEm Mobile GmbH, Jonas Nellissen / EyeEm Mobile G, Jonas Nellissen

Vorhang auf für eine Reise in das Land der Fantasie!

Bulgarisch-Kenntnisse brauchen wir für die Stücke nicht. Was mich immer wieder fasziniert: Kinder verstehen die Bühnenstücke meist viel besser als Erwachsene, weil sie vor Gefühl und Fantasie fast übersprudeln. Manche Stücke, vor allem für das ältere Publikum, werden auch auf Englisch aufgeführt. Rund 20 Stücke gehören zum ständigen Repertoire des Puppentheaters. Als wir nach draußen gehen, schaut sich der Sohn meiner Freundin die Programmplakate an. „Das will ich gerne sehen!“, sagt er und zeigt auf „Die Schneekönigin“. Und ich hoffe, dass ich im nächsten Bulgarien-Urlaub wieder mit ins Puppentheater darf.

Unser Fazit: Das Puppentheater von Sofia ist für uns ein absolutes Muss im Familienurlaub. Spannende Märchen, liebevolle Puppen und faszinierende Effekte: So strahlen die Augen der ganzen Familie.

Carsten Heinke

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